Am 27. August fand im Hotel Merian in Basel die Jahresversammlung von AMICA Schweiz statt. Der Vorstand hatte schon bald nach den Restriktionen aufgrund von Covid-19 im Frühjahr beschlossen, das Datum für die Jahresversammlung von Juni auf Ende August zu verschieben. Diese Entscheidung hat sich als richtig herausgestellt, denn so konnten wir die Jahresversammlung physisch durchführen und freuten uns über eine Besucherzahl, die gänzlich im Rahmen der letzten paar Jahre lag, mit dem Unterschied, dass die Stühle dieses Mal weiter auseinander standen.
Besuch aus Bosnien
Der geplante Besuch der Amica-Educa-Mitarbeiterin Selma Mustačević musste allerdings abgesagt werden, da Bosnien vor einigen Wochen auf die Quarantäneliste gesetzt wurde. Und so mussten auch wir doch noch auf die digitale Variante ausweichen, wenn auch nur teilweise.
Selma berichtete über das Projekt «Nicht schweigen bei geschlechterspezifischer Gewalt», welches Educa unter dem Namen «Anders, aber gleichwertig» in den vergangenen sechs Jahren in sechs öffentlichen Schulen durchgeführt hat. In Bosnien ist jede zweite Frau, die älter als fünfzehn Jahre ist, von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen.
Besonders beeindruckend war ein soziales Experiment, bei dem die Freiwilligen des Projekts mitten in der Stadt eine Szene spielten, in der ein junger Mann seine Freundin in der Öffentlichkeit angriff. Die meisten Menschen gingen einfach weiter, niemand rief die Polizei, niemand griff ein, niemand erhob die Stimme oder zeigte sich besorgt. Eine Person näherte sich dem Paar und riet dem Täter, doch mit seiner Freundin hinter das Gebäude zu gehen. Dieser Mann meinte das nicht sarkastisch, sondern er riet dem jungen Mann lediglich, wie er seine Partnerin unbemerkt schlagen konnte.
Geschlechternormen verändern
Um die Situation zu ändern, so Selma, genüge es nicht, nur am Empowerment von Frauen zu arbeiten. Sowohl Frauen als auch Männer müssten befähigt werden, die vorherrschenden Geschlechternormen zu verändern. In den letzten sechs Jahren hat Amica Educa deshalb mit etwa 2500 Schulkindern im Alter von sechs bis fünfzehn Jahren gearbeitet, etwa zweihundert Lehrer und Mitarbeiterinnen von Schulen in der Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt geschult und über sechzig junge Menschen für die Arbeit mit Schulkindern zu diesem Thema ausgebildet. Daraus resultierten über hundert Workshops in verschiedenen Schulen. Die Hauptbotschaft aller Aktivitäten lautet, dass eine Gleichstellung der Geschlechter erreicht ist, wenn Frauen und Männer, Mädchen und Jungen gleiche Rechte, Lebensperspektiven und Chancen sowie die Macht haben, ihr Leben selbst zu gestalten und einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.
Vorgängig zur Arbeit mit den Kindern wurden auch die Lehrerinnen und Lehrer im Thema geschult. Die Arbeit mit den Kindern bestand aus Puppenspielen für die kleineren und Forum-Theaterspielen bei den grösseren Kindern. Diese konnten dann selber Rollen übernehmen und ihre kreativen Lösungen einbringen. Dabei wird auf die gleichberechtigte Beteiligung von Jungen und Mädchen bei allen Workshops geachtet. Aufgrund der Covid-19-Einschränkungen wurde dieses Jahr die abschliessende Kunstausstellung zum Thema «Anders, aber gleichwertig» ins Internet verlegt, und die Kinder konnten bei einem Instagram-Quiz mitmachen.
Die Ergebnisse sprechen für sich
Zu Beginn und am Ende des Projekts werden Umfragen durchgeführt, aus denen ersichtlich ist, dass sich die Einstellungen der Schüler geändert haben: von «Mädchen sollen die Hausarbeiten erledigen und im Haushalt helfen» zu «Mädchen und Jungen sollen Hausarbeiten erledigen und im Haushalt helfen», von «für Mädchen ist es wichtig, hübsch und nett zu sein, und für Jungen ist es wichtig, stark und klug zu sein» zu «für Jungen und Mädchen ist es wichtig, klug und freundlich zu sein.» Als nächster Schritt ist auch eine externe Evaluation des Projekts geplant.
Für die Weiterführung des Projekts ist noch kein Geldgeber gefunden. AMICA Schweiz wird das Projekt notfalls für ein Jahr selber finanzieren, Spenden sind willkommen.
Statuarischer Teil der Jahresversammlung
Im anschliessenden statuarischen Teil wurden sowohl das Protokoll der GV 2019 sowie die Rechnung genehmigt. Im Vorstand ergab sich folgende Änderung: Elke Oehme hat den Vorstand verlassen und wurde von Elisabeth Partyka in einem kurzen Rückblick auf Elkes Einsätze bei AMICA Schweiz, die bis in die Anfänge des Vereins zurückgehen, verdankt. Als neues Vorstandsmitglied wurde Dominic C. Frei gewählt, der viele Jahre in der Bankenwelt verbrachte und momentan ein Studium in Genderwissenschaften und im Fundraising absolviert. Der Vorstand freut sich sehr auf die kompetente Unterstützung. Auch der Revisor Thomas Briellmann wurde wiedergewählt.
Bei einem gemütlichen, sommerlichen Essen im Garten des Restaurants Fischerstube in der Rheingasse klang der Abend mit einigen der Anwesenden aus.